neue Gesellschaft
für bildende Kunst
Isabel Kwarteng-Acheampong & Auro Orso
Bereits seit Beginn der Kolonialzeit dient Essen als Maßstab für Zivilisiertheit. Noch heute spielen das Thema Ernährung und seine koloniale Verstrickung vor allem für Menschen, die von Rassismus und intersektionalen Diskriminierungen betroffen sind, eine bedeutende Rolle: Nahrung kann ausgrenzen, aber auch heilen. Im Rahmen ihres Vermittlungsstipendiums setzen sich Isabel Kwarteng-Acheampong und Auro Orso künstlerisch mit Essen als dekolonialer Praxis und Empowerment-Strategie für Queere BIPoC auseinander. Aus ihrer künstlerischen Forschung entsteht eine audiovisuelle Installation mit Live-Performances.
Das Vermittlungsstipendium wird von der nGbK seit 2010 jährlich ausgeschrieben. Die Ausschreibung richtet sich an Einzelpersonen oder Teams von maximal zwei Personen, die im Bereich der Kunst- und Kulturvermittlung sowie in der Bildungsarbeit tätig sind und die experimentelle und prozesshafte Verfahren und Formate der künstlerischen Vermittlung umsetzen möchten. Die institutionelle Anbindung an die nGbK bietet den Stipendiat_innen die Möglichkeit, ein Vermittlungsformat umzusetzen, in dessen Rahmen die eigene Praxis erprobt, variiert oder ggf. neu ausgerichtet werden kann.
Das von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa ausgeschriebene Stipendium geht in diesem Jahr an die kurdische Künstlerin Susan Azizi. Ziel des Fellowships ist es, Künstler_innen aus Krisenregionen in die kulturellen Strukturen Berlins so einzubinden, dass sich ihnen eine langfristige Perspektive eröffnet.
Als Träger kultureller Identität drückt Kleidung Widerstand gegen soziale und politische Unterdrückung aus. Nicht umsonst setzen autoritäre Regime Kleidungsvorschriften häufig als Repressalie gegen Minderheiten ein – so auch in Kurdistan. In ihrer künstlerischen Forschung im Rahmen des nGbK-Stipendiums Weltoffenes Berlin untersucht die aus dem iranischen Teil Kurdistans stammende und im Berliner Exil lebende Künstlerin Susan Azizi Symbole, Materialien, Formen und Bedeutungen kurdischer Frauenkleidung und versucht, sie durch ihre künstlerische Praxis zu vermitteln und gegen Unsichtbarmachung zu verteidigen.
Gefördert durch die Senatsverwaltung für Kultur und Europa des Landes Berlin
Gespräch mit Paz Ponce Pérez-Bustamante am 14. Januar 2022 per Zoom
Anna-Lena Wenzel: Paz, wie bist du zur nGbK gekommen?
Paz Ponce Pérez-Bustamante: Ich habe 2018 die aktivistische Plattform ¡n[s]urgênc!as gegründet – insurgencias bedeutet „Widerstände“. Es ist eine Plattform für Künstler_innen at risk aus Lateinamerika in Berlin. Im Rahmen der Portfolio-Reviewings, die ich für die Plattform organisiere, habe ich 2018 Valeria Fahrenkrog, Teobaldo Lagos Preller und Daniela Labra als Berater_innen eingeladen. Zwei Jahre später kontaktierte Valeria uns und Marcela Moraga, um eine Arbeitsgruppe zu gründen. Gemeinsam konzipierten wir das Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm museo de la democracia, mit dem wir auf die Solidaritätswelle der Proteste und nationalen Streiks in Lateinamerika reagiert haben. Bis auf mich kamen alle anderen aus Chile, was zu produktiven Diskussionen darüber geführt hat, wie man über ein Territorium sprechen kann, aus dem man nicht kommt. Es gibt noch eine weitere Verbindung zur nGbK: Für meine erste Ausstellung in Berlin, Pflegeanweisungen – The Art of Living Together in der Galerie Wedding, habe ich 2014 zu selbst organisieren Kunstorten in Berlin recherchiert. Was für Gruppen gab es? Wer hat sich wofür eingesetzt? Dabei habe ich auch ein Interview mit der nGbK geführt und die Institution kennengelernt.
ALW: Warum habt ihr euch für die nGbK entschieden?
PPPB: Die nGbK ist der beste Ort, wenn man politische Ausstellungen macht. Ich mag das Programm: Es gibt einen kontextuellen Ansatz und ein Interesse an Politik in der Stadt. Auch das breite Spektrum der Themen ist ziemlich gut, es werden immer wieder überraschende Projekte realisiert. Ich bin stolz, dass wir mit unserem Projekt Teil des Programms sind.
ALW: Warst du auch Mitglied im Koordinationsausschuss (KOA)?
PPPB: Ja, zusammen mit Teobaldo Lagos Preller, wir haben uns abgewechselt, am Ende ist Valeria für mich eingesprungen.
ALW: Was erinnerst du von den Sitzungen?
PPPB: Manchmal war es total langweilig und oldschool. Zugleich ist es sehr interessant – wenn man Zeit hat, ist es ein guter Crashkurs in die Berliner Politik. Als wir das Projekt umgesetzt haben, ging es oft um die Transformation des Vereins und den neuen Standort in der Karl-Marx-Allee, den die nGbK in ein paar Jahren beziehen wird. Da habe ich viel gelernt. Problematisch war, dass ich nicht immer alles verstanden habe – sprachlich, aber auch weil die Zusammenhänge so komplex sind.
ALW: Euer Projekt hat mitten in der der Coronapandemie stattgefunden. Inwieweit hat sie euch beeinflusst?
PPPB: Wir mussten alles umstellen und neu denken – vor allem das Begleitprogramm. Die kontingente Situation war sehr herausfordernd und kompliziert. Durch die ganzen Vorschriften mussten wir unsere Ideen ständig anpassen, und Annette Maechtel, die Geschäftsführerin, musste alles mit der Lotto-Stiftung abstimmen. Dabei wurden die Spielräume für die Kunst kleiner. Das war nicht cool. Schade fand ich auch, dass es nur zu wenigen Verbindungen mit anderen Projekten und Aktivitäten kam, obwohl es inhaltliche Überschneidungen gab. Es bräuchte jemanden, der/die das ein bisschen im Blick behält. Für das Publikum ist oft nicht unterscheidbar, wer was macht. Es war bedauerlich, dass wir untereinander nicht besser im Austausch waren, wobei das wahrscheinlich auch mit den digitalen KOA-Sitzungen zusammenhing.
ALW: Hat sich dein Blick auf die nGbK während des Projekts verändert?
PPPB: Am Anfang war ich sehr beeindruckt von der Begleitung des Projekts durch die Geschäftsstelle. Es gibt tolle Werkzeuge wie die Beratungsgespräche in der Bewerbungsphase oder den „Schulterblick“, bei dem man hilfreiches Feedback bekommt. Es war unterstützend, mit verschiedenen Expert_innen zu tun zu haben, die mit uns darüber gesprochen haben, wie man Vermittlung denken oder wie das Projekt besser die Öffentlichkeit erreichen kann. Wir haben uns gut aufgehoben gefühlt.
Gleichzeitig hat sich gezeigt, dass die nGbK mehr Berlin-Style ist, als ich dachte. Es hat sich mehr nach einem selbst organisierten Kunstraum angefühlt als nach einer gut ausgestatteten Institution. Vielleicht hatte ich andere Erwartungen, weil ich in der Vergangenheit bereits für verschiedene Institutionen in Ländern wie Spanien, Griechenland, Türkei und Kosovo tätig gewesen bin. Die Frage ist, ob es besser ist, mehr material means zu haben, oder mehr Freiheit. Das Gefühl der Freiheit, das wir anfangs hatten, veränderte sich leider während der Ausstellungsvorbereitung, weil es so viel Druck gab. Man könnte sagen, dass die nGbK professionell ist – aber mehr noch ist sie politisch.
ALW: Ich weiß von vielen Gruppen, die sich während des Prozesses zerstritten haben. Wie war es bei euch?
PPPB: Das war bei uns auch so (lacht) – aber nur am Ende, und das hatte auch damit zu tun, dass wir uns lange nur digital treffen konnten. Es war einfach auch sehr viel Arbeit, vor allem durch die Umstellungen, die Corona mit sich brachte. Weil wir Angst hatten, das Budget zu überziehen, haben wir versucht, so sparsam wie möglich zu arbeiten. Am Ende hatten wir sogar noch etwas Geld übrig, das wir uns auszahlen konnten. Das war ganz gut.
ALW: Bist du noch Mitglied?
PPPB: Ja, auf jeden Fall. Methodologisch ist die nGbK einzigartig. Ich schätze an ihr, dass die Grenzen zwischen Kunst und Kuration so fließend sind. Ich bin gespannt, wie es weitergeht. Mir gefällt die Entscheidung, Räume an der U5 zu haben, da so die Verbindung zum Standort in Hellersdorf gestärkt wird. Es ist wichtig für Berlin, dass sich die Kunstszene diversifiziert und dezentralisiert. Und auch die Nachbarschaft mit dem Haus der Statistik finde ich produktiv. Es gibt da viele Überschneidungen, weil es dort auch um widerständige Praktiken geht. Es ist einzigartig, dass mit den neuen Pavillons an der Karl-Marx-Allee Pläne aus der DDR umgesetzt werden und damit Geschichte fortgesetzt wird, die in den letzten Jahrzehnten verstärkt ausgelöscht wurde. Das ist eine Hoffnung für Berlin.
Gespräch zwischen Beatrice E. Stammer und Anna Voswinckel am 27. Oktober 2021 innerhalb der Ausstellung … oder kann das weg? Fallstudien zur Nachwende. Transkription: Anna-Lena Wenzel
Anna Voswinckel: Beatrice, du bist freie Kuratorin, Künstlerin und Autorin und warst von 1979 bis 1993 Mitglied der nGbK. Du hast in der nGbK sehr viele Ausstellungen kuratiert, unter anderen Unbeachtete Produktionsformen (1982), Zwischenspiele mit 43 jungen Künstler_innen aus der DDR (1989) und eine Einzelausstellung von Via Lewandowsky (1990), einem DDR-Künstler, den ihr sehr früh gezeigt habt. 1991 fand Außerhalb von Mittendrin statt, wozu ein Katalog entstanden ist, der auch in diese Ausstellung eingeflossen ist. Zusammen mit Bettina Knaup hast du zudem über mehrere Jahre das Performanceprojekt re-act feminism#1/#2 – a performing archive kuratiert und im Künstlerhaus Bethanien 2009 mit Angelika Richter die Ausstellung und jetzt – Künstlerinnen aus der DDR organisiert. Angelika Richter wiederum hat in der nGbK vor einigen Jahren die Ausstellung Left Performance Histories verantwortet, wo es um Performancepraktiken in der DDR und Osteuropa ging. Wir fangen am besten mit der nGbK an. Wie bist du zur nGbK gekommen? Was war deine Motivation, hier zu arbeiten?
Beatrice E. Stammer: Ich möchte vorher noch etwas zu meiner Biografie sagen. Ich bin in den 1950er-Jahren aufgewachsen, bin also eine echte West-Berlinerin. Ich war aktiv in der Frauenbewegung, aus der heraus wir 1973 das erste Frauenzentrum in Deutschland gegründet haben. Es gab damals weder das Internet noch Reisen, wenn jemand von uns nach Amerika geflogen ist, war das exorbitant. Dennoch haben wir vieles, was vom Feminismus aus den USA gekommen ist, bei uns praktiziert, unter anderem die Consciousness-Raising Groups, diese Selbsterfahrungsgruppen, und haben Selbstuntersuchungen durchgeführt. Es gab sehr viele Arbeitsgruppen, zum Beispiel eine Rote-Hilfe-Gruppe, die Frauen unterstützt hat, die im Knast waren. Ich war relativ militant bei allem und habe illegale Fahrten nach Holland organisiert. Wir haben bei Vergewaltigern an die Türen gesprüht oder sind bei sexistischen Filmen mit Buttersäure rein. So bin ich über eine anarchistische Frauenbewegung in die Kunst gekommen. Das war relativ spontan. Ich hatte zwei oder drei Jahre als Lehrerin an einer Gesamtschule gearbeitet und bin, weil ich das so gruselig fand, 1980 aus dem Schuldienst rausgegangen. Mich hat dann Jula Dech angesprochen, die damals in der nGbK war und die erste Ausstellung mit mexikanischen Künstlerinnen realisiert hat, die sehr erfolgreich war. Wir wollten etwas zu unbeachteten Produktionsformen von Frauen machen, also zu Care-Arbeit, zu Küchen, die nicht für Frauen konzipiert sind, Frauenökonomie etc. Wir haben sehr lange versucht, dieses Projekt durchzudrücken in der Mitgliederversammlung, wie, glaube ich, alle Frauenprojekte damals. Es war dann so, dass viele Frauen kurzfristig eingetreten sind und für das Projekt gestimmt haben, sonst hätten wir es nicht durchbekommen. Das war 1977 bei Künstlerinnen International, dem ersten wirklich großartigen Frauenprojekt mit sehr bekannten Künstlerinnen, ähnlich. Das war eine der wichtigsten feministischen Ausstellungen, die die nGbK gemacht hat, aber sie musste zwei oder drei Jahre Vorlauf in Anspruch nehmen, um die Stimmen der Hauptversammlung zu bekommen!
AV: Kannst du etwas mehr über die Hintergründe der Ausstellung Unbeachtete Produktionsformen erzählen?
BS: Wir wollten diese Ausstellung machen, um einen anderen Aspekt von Frauenarbeit zu beleuchten, denn Care-Arbeit war damals überhaupt nicht im Fokus, obwohl es in der Frauenbewegung Lohn-für-Hausarbeit-Gruppen gab, wo die Thematik angesprochen worden ist. Dieses Projekt fand im alten Künstlerhaus Bethanien statt, im Kirchenschiff. Es gab ein großes Rahmenprogramm mit Performances und Theater. Wir haben mit der Berliner Frauengruppe Schwarze Schokolade zusammengearbeitet, die den Berliner Frauensommer ins Leben gerufen hat, dazu gehörte eine große „Nebelwanderung“ mit Schwertern und Tüchern. Also, es war schon Feminismus pur in der Zeit.
AV: Das ist interessant, weil zum Thema Sorgearbeit in der nGbK in den Folgejahren zahlreiche Ausstellungen und Projekte realisiert wurden, aktuell Networks of Care. Im PiS-regierten Nachbarland Polen müssen Frauen wieder für Abtreibungsrechte kämpfen. Feministische Forderungen werden kontinuierlich sichtbar gemacht.
Wir wollen heute vor allem über die Verbindungen von Ost- und Westdeutschland sprechen, über das Zusammentreffen der Frauen, die Gemeinsamkeiten und unterschiedlichen Voraussetzungen und Kämpfe gegen das Patriarchat. Wie bist du zum Osten gekommen, Beatrice?
BS: Ich habe gemeinsam mit der damaligen Geschäftsführerin Christiane Zieseke 1987 vom evangelischen Kirchendienst eine Einladung erhalten, die nGbK in Ost-Berlin vorzustellen. Ich war Teil des RealismusStudios mit Frank Wagner, wir haben gerade die Ausstellung endart. Aus der Produktion 1980–86 gemacht und dachten, das wäre ein schöner Anlass, um die Kunstszene in Ost-Berlin besser kennenzulernen. Bei einem der Treffen gab es einen Vortrag von Christoph Tannert, der mich schier umgehauen hat, weil ich gar nichts von DDR-Kunst, oder genauer: von der Underground-Szene, wusste. Ich habe zu der Zeit in der Staatlichen Kunsthalle gearbeitet, und weil unser Direktor relativ DDR-freundlich war, haben wir „Staatskünstler“ wie Willi Sitte oder Volker Stelzmann – auch wenn der in dem Sinne kein Staatskünstler war – ausgestellt. Der Vortrag von Christoph Tannert behandelte den DDR-Underground und dessen vielfältige Facetten – von Rockmusik, Punk, Literatur bis zu Modeschauen und Ausstellungen. Christoph war es auch, der mir, nachdem wir entschieden hatten, das Projekt zu machen, Tipps gegeben hat, wo ich hinfahren sollte. Unter anderem hat er mir geraten, die Künstlerinnengruppe Erfurt zu besuchen – so habe ich 1987 Gabriele Stötzer kennengelernt. Gabi durfte leider bei Zwischenspiele nicht ausstellen, weil sie nicht im Verband Bildender Künstler der DDR (VBK) war. Aber ich habe ihre Arbeiten in Form von Abbildungen mit in den Katalog reingenommen.
AV: Wie war die Zusammenarbeit mit den DDR-Institutionen?
BS: Die Ausstellung ist auf unsere Anfrage beim VBK der DDR zustande gekommen. Es gab zwei Arbeitsgruppen: die der nGbK und die des VBK. Wir haben uns immer in Ost-Berlin getroffen. Ich habe die Ausstellung mit Christiane Zieseke gemacht. Wir haben bis auf einige Unstimmigkeiten relativ viel durchsetzen können. Das war 1988 und 1989, da konnten sich die DDR-Behörden nicht mehr so völlig rückwärtsgewandt verhalten. Die mussten auf den Westen zugehen. Es gab unter anderem das deutsch-deutsche Kulturabkommen, wo der Westen seine Wünsche äußern konnte, dem oft nach einigen Verhandlungsrunden stattgegeben wurde. Die West-Institutionen haben schon darauf geachtet, dass sie bestimmte Dinge durchsetzen konnten. Aber es war klar, dass bei den Treffen einer dabeisitzen würde, der die Ohren spitzt, und so war es auch.
Trotz der Kompromisse gab es einige Künstler_innen, die zur Eröffnung am 20. Oktober 1989 nicht ausreisen durften, wie zum Beispiel die Auto-Perforations-Artisten. Die West-Berliner Fraktion war deswegen stinksauer! Wir haben da vergeblich rauf und runter verhandelt, und als zwei Wochen später die Mauer aufging, haben die Auto-Perforations-Artisten ihre erste Performance im Westen machen können. Das war eine wahnsinnige Genugtuung.
AV: Aber es gab Kontroversen um deinen Text?
BS: Ja, der Text „Sie macht Ihr’s“, den ich aus feministischer Perspektive für den Katalog geschrieben habe, wurde von den DDR-Behörden zensiert. Daraufhin hat sich der damalige Berliner Kultursenator Ulrich Roloff-Momin dafür eingesetzt, dass er doch abgedruckt werden durfte. Weil es im Sommer 1989 in der DDR schon relativ kippelig war, wurden relativ viele Zugeständnisse gemacht.
AV: Wie war es sonst mit deinem feministischen Anspruch?
BS: Das waren schon klassisch männlich geprägte Diskussionen um die Qualität der Arbeiten von Künstlerinnen, da habe ich um jede Position gerungen. Unter den 43 Beteiligten waren immerhin elf Künstlerinnen. Es hätte anders ausgesehen, wenn ich da nicht gegengehalten hätte. Ich war ganz stolz, dass ich das Wort „Künstlerinnen“ auf dem Cover des Katalogs durchsetzen konnte.
AV: Zwei Jahre später habt ihr die Ausstellung Außerhalb von Mittendrin realisiert.
BS: Ja, es war ein sehr großes Projekt mit 200 DDR-Künstlerinnen im Rahmen des deutsch-deutschen Kulturabkommens, da liefen die Planungen ja schon seit 1988. Die Ausstellung war in einer relativ unbekannten Ausstellungshalle im Neuen Kunstquartier im TIB im Wedding, die es heute nicht mehr gibt. Zusätzlich hatten wir ein Veranstaltungszelt aufgebaut, in dem Theater, Musik und Lesungen stattfanden, und zeigten ein Filmprogramm im Arsenal-Kino. Es sollte ein reines DDR-Frauen-Projekt werden. Dann kam der Mauerfall, und ich habe mich relativ kurzfristig entschieden, bekannte Feministinnen wie Valie Export und Rosemarie Trockel, Renate Bertlmann und Ingeborg Strobl auch mit einzuladen. Ich habe also eine Ausstellung gemacht mit DDR- und westdeutschen und österreichischen feministischen Künstlerinnen. Das wurde sehr kontrovers diskutiert. Warum ich nicht nur DDR-Künstlerinnen ausgestellt hätte, wurde ich gefragt, aber ich wollte die Künstlerinnen aus dem „DDR-Reservat“ herausholen und ihnen den Rücken stärken – ich glaube, dass es für ihre Biografien ganz gut war.
AV: Es ging darum, feministische Kunst in den Vordergrund zu stellen, statt die DDR-Künstlerinnen zu essenzialisieren?
BS: Genau.
AV: Wie war die Zusammenarbeit innerhalb der Arbeitsgruppen?
BS: Wir haben uns, wie alle Gruppen, zerstritten (lacht). Das Plus an der nGbK ist: Obwohl wir ja alle kaum Geld damit verdienen, weil das Realisieren der Projekte mehr oder weniger ehrenamtlich ist, finde ich wirklich gut, dass man sich dort professionalisiert. Du lernst, dich zu vernetzen, und wirst getragen von einer basisdemokratischen Institution, in der du Dinge machen kannst, bei denen du einen Rückhalt hast. Ich habe oft Ausstellungen organisiert, die über gewisse Grenzen gingen, aber die nGbK hat gesagt: Wir stehen hinter dir, zieh es durch. Das, muss ich sagen, ist für mich die nGbK. Ich habe mich natürlich jedes Mal wieder geärgert, dass das Honorar bei einem Projekt, mit dem ich zweieinhalb Jahre beschäftigt war, nur bei 3000 DM lag, aber darum ging es nicht. Es ging um eine Gemeinschaft ähnlich Gesinnter, um Professionalisierung, um Austausch, dass man über eine Institution nach außen gehen konnte und mit Projekten sichtbar wurde, die nicht Mainstream waren. Das war für mich unheimlich wichtig, und dafür bin ich dankbar.
Gespräch mit Eylem Sengezer am 18. Januar 2022 per Zoom
Anna-Lena Wenzel: Wann und wie bist du zur nGbK gekommen? Erinnerst du dich an deine ersten Eindrücke?
Eylem Sengezer: Ich habe 2012 begonnen, mein erstes Projekt an der nGbK zu realisieren. Ich wurde damals von Anna Bromley und Michael Fesca angesprochen, Teil einer Arbeitsgruppe zu werden, die dann die Ausstellung Die Irregulären – Ökonomien des Abweichens umgesetzt hat. Es war eine Gruppe, die sich erst kennenlernen musste und zum ersten Mal in der nGbK tätig war. Daher kannten wir die Vereinsstrukturen nur bedingt. Wir wussten, dass es eine Hauptversammlung gibt und dass dort die Projekte vorgestellt werden, aber wir wussten nicht, wie die Strukturen und basisdemokratischen Entscheidungsprozesse aussehen, welche Rolle die Arbeitsgruppen und der Koordinationsausschuss (KOA) im Vereinsgefüge spielen und welche Verantwortung mit der Projektumsetzung einhergeht. Es war also ein Lernprozess auf verschiedenen Ebenen – in Bezug auf kollektives Arbeiten und weil es die erste eigene kuratorische Erfahrung in einem größeren Umfang war. Die nGbK-Projekte haben im Schnitt 50.000 Euro Projektmittel, was nicht wenig ist, wenn man so etwas zum ersten Mal macht.
ALW: Neben der Ausstellung habt ihr auch ein Glossar veröffentlicht …
ES: Ja, wir haben uns damals mit einer Ausstellung und dem Glossar beworben und sind auf der Hauptversammlung auf dem ersten Platz gelandet. Das war für uns eine riesige Überraschung, weil wir nicht wie andere Projekte auf Kontakte oder Netzwerke in der nGbK zurückgreifen konnten. Das ist zugegeben oft hilfreich. Das Thema der Ausstellung – das Verhältnis von Kunst und Arbeit mit einem Schwerpunkt auf den postfordistischen Diskurs – kam offenbar gut an. Wir haben zusätzlich noch ein Symposium in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung organisiert, das war am Ende ziemlich viel Programm.
ALW: War es von Vorteil, im Vorfeld nicht genau zu wissen, wie viel Arbeit es werden würde, das alles umzusetzen?
ES: Wir hatten das Glück, dass wir alle relativ viel Vorerfahrung aus anderen institutionellen Kontexten mitbrachten, trotzdem haben wir den Arbeitsaufwand unterschätzt. Damals konnte ich das ganz gut mit meiner Lebenssituation vereinbaren, dieses Mehr an ehrenamtlicher Arbeit, das ist heute anders. Das Verhältnis von Zeitaufwand und Honorar steht in einem großen Missverhältnis. Das hat, wie in vielen anderen Arbeitsgruppen auch, zu Konflikten geführt. Aber auch wenn ich vorher gewusst hätte, wie viel Arbeit es ist – ich hätte mich trotzdem beworben, weil es eine wichtige Erfahrung war, die ich nicht missen möchte. Ich habe für meine kuratorische Arbeitspraxis und für mich persönlich viel gelernt.
ALW: Hat sich das Verhältnis von Honorierung und Arbeitsaufwand seit den zehn Jahren, die du die nGbK nun schon begleitest, zum Besseren verschoben?
ES: Meinst du in Bezug auf meinen Umgang damit, oder ob sich da institutionell etwas verschoben hat?
ALW: Beides.
ES: Ich habe nach dem ersten Projekt noch drei weitere realisiert. Was sich auf jeden Fall verändert hat, war mein Umgang damit. Je mehr Erfahrung du in der nGbK hast, desto einfacher ist es, bestimmte Arbeitsprozesse zu überblicken und sorgsam mit den eigenen Ressourcen umzugehen. Im Rückblick waren wir im ersten Projekt sehr ambitioniert und haben auf hohem Niveau in kurzer Zeit viel umgesetzt. Die nachfolgenden Projekte waren einfacher in der Organisation, weil ich die Institution mit ihren Abläufen besser kannte. Direkt im Anschluss an die Irregulären habe ich das Metabolismus-Projekt The Ultimate Capital ist the Sun gemacht, auf das der Wissensspeicher und das Jubiläumsprojekt 50 Jahre neue Gesellschaft folgten. Ich habe mich also thematisch stärker zur Institution selbst gewandt. Das hing auch mit dem Interesse zusammen, sich stärker mit der Geschichte zu befassen. Ich hatte die nGbK immer als politischen Ort verstanden, allein schon weil die Institution im Geiste der 68er gegründet wurde. Aber was genau bedeutete dieses Politische und wie hat es sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert?
Durch die Auseinandersetzung mit der Vereinsgeschichte im Rahmen der Digitalisierung und thematischen Aufarbeitung des Archivs beim Wissensspeicher hat sich mein Blick auf die Institution verändert. Ich habe besser verstanden, dass es in der nGbK verschiedene Phasen und auch widersprüchliche Verständnisse des Politischen gab und dass das Verständnis der Struktur, der Verantwortlichkeiten und Rollen verhandelbar ist und immer war.
In den letzten Jahren war die Strukturfrage besonders präsent, weil es unter anderem durch die vielen Wechsel der Geschäftsführung in der nGbK viele Umbrüche gab. Im Rückblick habe ich besonders die Zeit um 2014/15 als diskussionsstark in Erinnerung, weil auch durch den Weggang der Geschäftsführung eine Leerstelle entstanden war. In dieser Zeit war der KOA stark gefordert, und ich habe ihn als sehr aktiv und engagiert wahrgenommen, auch in Bezug auf das Verhältnis von Arbeit und Ehrenamt. Es gab in dieser Zeit sogar die Überlegung, die Geschäftsstelle komplett abzuschaffen.
ALW: Wirklich?
ES: Ja, es war aber eine Minderheit, die das diskutiert hat, und zugleich war es keine neue Diskussion. Mein Blick auf die Institution hat sich zudem mit den unterschiedlichen Rollen verschoben, die ich innehatte: Nach meiner Zeit als Arbeitsgruppen- und KOA-Mitglied war ich kurze Zeit direkt gewähltes Mitglied. Letztes Jahr bin ich ins Präsidium gewählt worden. Für mich war das Präsidium früher vor allem ein repräsentatives Gremium, aber es ist auch ein Gremium, in dem viele Strukturfragen diskutiert werden, für die der KOA keine Zeit oder Kapazitäten hat. Durch die neue Rolle verstehe ich bestimmte Notwendigkeiten nun besser. Weil sich die nGbK gerade im Übergang von der Lotto-Finanzierung in eine institutionelle Förderung durch den Senat befindet – eine Errungenschaft, die nicht selbstverständlich ist und 50 Jahre gedauert hat –, stellen sich die institutionellen Fragen noch mal anders, weil mit dieser Umstellung neue Zwänge auf die nGbK zukommen. In den Blick rückt auch die Frage, wie der Verein die Strukturen so gestalten kann, dass die Basisdemokratie gut funktioniert. Wie schaffen wir es, diese Strukturen in einen anderen Kontext zu übersetzen? Dabei beobachte ich eine Art Gap zwischen den strukturellen Transformationen auf der einen Seite und den Interessen der Arbeitsgruppen, die verständlicherweise oft auf ihre Projekte konzentriert sind, auf der anderen Seite. Da fehlt manchmal der Austausch darüber, was die einzelnen Gremien machen. Das ist auch schwer zu vermitteln, wäre aber wichtig.
ALW: Mit dir sind zurzeit Ingrid Wagner und Ingo Arend im Präsidium, die – wie du – die Institution schon lange und vor allem auch von innen kennen. Das scheint mir eine gute Voraussetzung für das Zusammenspiel der Gremien zu sein.
ES: Das Präsidium war in den letzten Jahren oft repräsentativ besetzt worden. Es macht einen Unterschied, ob man weiß, wie der Arbeitsalltag einer Arbeitsgruppe aussieht und wie das im Verhältnis zur Geschäftsstelle steht. Ich bin als Präsidiumsmitglied in verschiedenen Arbeitskreisen aktiv – im AK Diversity/Antidiskriminierung und im AK Standort – und finde es wichtig, dass das Präsidium im steten Austausch mit den anderen Gremien und AKs steht, weil dort wichtige Debatten über den Verein angestoßen werden. Ich persönlich sehe mich eher als Unterstützerin und Ermöglicherin denn als Repräsentantin, auch weil ich finde, dass die Projekte und AG-Mitglieder am besten sich selbst repräsentieren und nach außen strahlen. Auf kulturpolitischer Ebene ist es etwas anders, da braucht es das Präsidium stärker als Mittler, insbesondere in der aktuellen Transformationsphase. Dabei hängt es stark von den Personen ab, wie sie ihre Rolle definieren. Das eine ist die Struktur, die die nGbK qua Satzung vorgibt, aber wie diese belebt wird, wie die Dinge umgesetzt und moderiert werden, ist das andere.
ALW: Du hast bereits angedeutet, dass das Verständnis der Aufgaben verhandelbar ist. Würdest du sagen, dass diese Anpassungsfähigkeit der Struktur und die Offenheit für neue Akteur_innen den Verein ausmachen?
ES: Ja, ich finde, dass vieles diskutabel und verhandelbar ist, aber das setzt Strukturwissen und eine gewisse Erfahrung in der nGbK voraus. Wenn du neu im Verein bist, traust du dich kaum an diese Strukturen ran, aber es gibt ein Einverständnis darüber, dass Strukturen und Haltungen kritisiert werden dürfen und dass es eine Verhandlung braucht, wenn Kritik im Raum steht. Das zeichnet die nGbK aus. In anderen Institutionen werden nicht mit derselben Offenheit Strukturen oder Personen kritisiert, da es Abhängigkeitsverhältnisse gibt. Diese Abhängigkeiten und Machthierarchien gibt es in der nGbK in dieser Form nicht, sie sind eher horizontal verteilt, zum Beispiel zwischen denjenigen, die schon länger im Verein und denjenigen, die relativ neu sind. Manchmal hängt es auch davon ab, ob man sprachlich Zugang findet.
ALW: Du arbeitest für Diversity Arts Culture (DAC) und hast daher viel Wissen darüber, wie Kulturinstitutionen mit Diskriminierung umgehen.
ES: Eine Institution muss immer damit rechnen, kritisiert zu werden. Sie muss sich mit Diskriminierung und Ausschlüssen auseinandersetzen, ob sie will oder nicht. Diskriminierung findet auch im Kulturbetrieb statt. Es gab im Berliner Kulturbetrieb in den letzten Jahren doch einige Fälle, die öffentlich wurden. Was wir bei Diversity Arts Culture grundsätzlich feststellen: dass auf Diskriminierungsfälle oder Kritik oft mit Schweigen reagiert wird. Zwar gibt es in wenigen Fällen Ansprechpartner_innen oder Strukturen wie den Betriebsrat oder Gleichstellungsbeauftragte, dennoch werden Vorwürfe oft aus Angst oder Unkenntnis erst mal abgetan oder eine Reaktion hinausgezögert, bis sich die Wogen vermeintlich geglättet haben. Aus diesem Grund haben wir bei DAC letztes Jahr eine unabhängige Beschwerdestelle für den Berliner Kulturbetrieb gegründet. Dort erhalten Betroffene eine psychosoziale Beratung und eine erste juristische Einschätzung. Rassismus und Sexismus sind die bisher häufigsten Diskriminierungsfälle, die an uns herangetragen werden.
ALW: Kannst du näher beschreiben, was ihr im AK Diversity macht?
ES: Als es in der nGbK 2021 einen Diskriminierungsvorwurf gab, wurde dieser im KOA diskutiert, eine Veranstaltung abgesagt und die Mitgliedschaft in Form von E-Mails informiert. Wir haben darüber diskutiert, dass es kein Beschwerdeverfahren gibt und der Umgang mit Diskriminierung oder Machtmissbrauch unzureichend ist. Wir haben unter anderem für den Verein ein Fortbildungsprogramm organisiert und lassen uns dazu beraten, wie wir eine Beschwerdestelle einrichten können, an die sich Betroffene von Diskriminierung und Machtmissbrauch wenden können. Es war relativ einfach, den Arbeitskreis zu gründen, aber nicht, Mitglieder für diese ehrenamtliche Arbeit zu finden. Doch gerade bei diesem Thema sind die Mitglieder umso wichtiger. Das Gelingen des AK Diversity hängt davon ab, ob und wie sich alle Gremien das Thema zu eigen machen.
ALW: Es ist eine basisdemokratische Struktur, und trotzdem gibt es Machtverhältnisse, die nicht so direkt über bestimmte Positionen wirken, sondern über Wissen. Wie man das benennt und was für einen Umgang man damit findet, das ist die Herausforderung, die ich in diesem Prozess der Auseinandersetzung mit Diskriminierung sehe. Das ist keine einfache Aufgabe, weil es erst mal darum geht, ein Verständnis dafür zu schaffen, was überhaupt als Diskriminierung wahrgenommen wird.
ES: Interessant ist, dass mir – seitdem wir dazu arbeiten – einige Situationen von Diskriminierung, zum Beispiel Rassismus oder Sexismus, in der nGbK berichtet wurden. Insofern würde ich sagen, dass sich die nGbK gerade in einem Lernprozess befindet und dabei ist, sich zu verständigen, wie sich Machtmissbrauch und Diskriminierung in den eigenen Strukturen manifestieren. Das sind tatsächlich erste wichtige Schritte – Dinge zu erkennen und zu benennen ...
ALW: ... und für die Problematik zu sensibilisieren ...
ES: Genau, und dafür braucht es eine Praxis. Das wird zwar von Einzelnen benannt, aber nicht als strukturelles Problem angeschaut. Auf diese strukturelle Dimension hinzuweisen, ist die Aufgabe des AK. Es gibt in der nGbK keine Leitung, die im Alleingang darüber bestimmen kann, wie ein Beschwerdeverfahren aussehen und strukturell umgesetzt werden soll. Durch den KOA ist es einfacher, dieses Anliegen in die Institution hineinzutragen, dennoch bedarf es einer Auseinandersetzung aller Gremien – und das ist nicht so einfach. Die Dezentralisierung der Macht ist zugleich eine Herausforderung.
ALW: Weil die Zuständigkeiten manchmal unklar sind und die dezentrale Kommunikationsstruktur dazu führt, dass man das Gefühl hat, ins Off zu sprechen?
ES: Ja. Es geht jetzt darum, möglichst viele mitzunehmen, auch wenn das Thema keine Begeisterungsstürme hervorruft. Aber es gehört zu einem Kunstverein dazu, der sich als politisch versteht.
ALW: Wie nimmst du den Verein in Bezug auf Diversität heute wahr?
ES: Die nGbK ist nach wie vor eine relativ weiße Institution, da hat sich in den zehn Jahren, die ich dort aktiv bin, meines Erachtens viel zu wenig getan, was zum Beispiel die Besetzung der Geschäftsstelle, aber auch die Zusammensetzung der Gruppen betrifft. Auch das Verhältnis zur Nachbarschaft in der Oranienstraße ist immer wieder Thema, doch die nGbK hat es nicht geschafft, sich mit den migrantischen Communitys nachhaltig zu vernetzen – höchstens punktuell, aber nicht auf institutioneller Ebene. Da gibt es noch einige Leerstellen.
ALW: Christiane Zieseke hat im Gespräch gesagt, dass in der nGbK Themen verhandelt wurden, bevor sie im Mainstream landeten. Gleichzeitig hat sie davon gesprochen, dass die nGbK im Berliner Kulturfeld nicht so richtig ernst genommen wurde. Du hast selbst in verschiedenen Berliner Kulturinstitutionen gearbeitet und kennst daher den Blick von außerhalb. Wie ist dein Eindruck?
ES: Ich sehe das ähnlich. Die nGbK wird als vielstimmiger Kunstort wahrgenommen. Es gibt allerdings keine schillernden kuratorischen Figuren, sondern einzelne Projekte und Personen, die diskursprägend sind. Stadt- und kulturpolitisch, würde ich sagen, ist es anders, da ist die nGbK eine wichtige Institution und wird auch so wahrgenommen. Ich finde die nGbK vor allem zukunftsweisend in Bezug auf die Art, wie Kunsteinrichtungen Zugänge und Teilhabe schaffen können – die nGbK ist zum einen ein wichtiger Lernort für den kuratorischen und künstlerischen Nachwuchs und zum anderen ein Ort, wo Dinge ausprobiert werden können. Größere Institutionen mit ihren verhärteten Strukturen und Hierarchien hinken da hinterher. Die nGbK könnte diesbezüglich für andere Kultureinrichtungen ein Vorbild sein.
ALW: Für mich ist vor allem der Kollektivgedanke total wichtig. Dass man gezwungen ist, als fünfköpfige Arbeitsgruppe zu agieren, was automatisch dazu führt, dass man dezentraler vorgeht und lernt, Dinge auszuhandeln. Ich beobachte da gerade einen allgemeinen Trend – mit ruangrupa, dem Kurator_innenkollektiv der documenta, oder der Auszeichnung eines Kollektivs mit dem Turner Prize 2021. Da ist die nGbK auf jeden Fall der Zeit voraus.
ES: Das Thema der alternativen Leitungskonzepte wird im Kulturbetrieb gerade viel diskutiert und ist auch im Koalitionsvertrag benannt, wobei die Vorstellung meist nicht über ein Leitungsduo hinausgeht. Die nGbK ist ein gutes Beispiel dafür, wie man eine Institution demokratisch organisieren und das Kollektive zum zentralen Moment machen kann. Das hat den Effekt, dass sich Macht nicht in einer Person konzentriert, was wiederum Auswirkungen auf die Arbeitskultur und die Art hat, wie Themen gesetzt und weiterentwickelt werden.
Das kollektive Moment ist auch der Grund, warum ich in der nGbK geblieben bin. Als ich in hierarchischen Kultureinrichtungen gearbeitet habe, wo es keinerlei oder nur sehr wenig Mitbestimmung gibt, war die nGbK für mich immer eine wohltuende Alternative. Das bedeutet nicht, dass ich ihr kritiklos gegenüberstehe. Es ist etwas Besonderes, so viel mitgestalten und zum Beispiel darüber mitentscheiden zu können, dass Honorare fair und solidarisch verteilt werden.
ALW: Dazu gehört aber auch, dass es Reibungen gibt, dass man für den Verein Mitverantwortung trägt und mit fließenden Grenzen zwischen bezahlter und ehrenamtlicher Arbeit klarkommen muss.
Gespräch mit Matthias Reichelt und Josefine Geier am 15. November 2021 in ihrer Wohnung
Anna-Lena Wenzel: Matthias, wie bist du zur nGbK gekommen?
Matthias Reichelt: Ich glaube, die Beantragung der Mitgliedschaft war 1981 für die Ausstellung Das andere Amerika. Ich war Student der Amerikanistik, und einer meiner Dozenten war der Soziologe Reinhard Schultz. Wir wollten eine deutsche Ausgabe der Geschichte der Arbeiterbewegung der USA des marxistischen US-Historikers Philip S. Foner herausgeben. Durch die Bekanntschaft mit Tom Fecht, Mitbegründer der Elefanten Press, kam dann die Idee auf, dass man daraus eine illustrierte Geschichte macht als Buch sowie eine Ausstellung. Dann sind wir Mitglieder geworden, aber ehrlich gesagt, ziemlich naiv. Ich habe noch diese Hauptversammlung in der TU in Erinnerung, da waren etwa 200 Leute. Es gab richtige ideologische Blöcke, Alternative Liste, letzte Reste Maoist_innen beziehungsweise Spontis, die Mitglieder der SEW, die als „Revisionist_innen“ bezeichnet wurden und zu denen wir gehörten, sowie Personen, die sich nirgendwo dazuzählten. Es kam zu harten, aber spannenden Diskussionen.
Die ganze Vereinsprozedur haben Reinhard und ich erst kurz vor Eröffnung der Ausstellung 1983 in der Staatlichen Kunsthalle richtig kapiert. Tom Fecht war immer derjenige, der Protokolle geschrieben hat. Er war Vertreter im Koordinationsausschuss (KOA) und das Bindeglied zur nGbK. Später fanden wir Protokolle von AG-Sitzungen mit Beschlüssen, die an uns völlig vorbeigegangen waren, da wir uns hauptsächlich um Recherche, Dokumente und Leihgaben gekümmert haben. Die Ausstellung endete mit einem Defizit. Reinhard und ich haben für drei Jahre jeweils um die 1500 DM bekommen, aber die Hauptarbeit geleistet, auch weil wir die Ausstellung weiter betreut haben, als sie auf Reisen ging (zum Beispiel nach Stockholm, wo der nGbK eine Übernahmepauschale von 25.000 DM gezahlt wurde, womit das Defizit maßgeblich getilgt werden konnte). Ich würde sagen, es ist ganz selten, dass in Arbeitsgruppen die Arbeit gleich verteilt ist. Das sind so Erfahrungen, die man immer wieder gemacht hat. Trotzdem: Ich fand die nGbK und dieses Learning-by-Doing-Prinzip extrem wichtig. Ohne diesen Verein wäre ich nicht dort, wo ich heute bin. Das hat auch immer viel Spaß gemacht, insofern bereue ich das überhaupt nicht.
ALW: Du hast auch in der Geschäftsstelle (GS) gearbeitet. Wann war das?
MR: Das war ab September 1986, aber eher zufällig. Ich wurde gefragt, ob ich temporär dort als Vertretung arbeiten möchte. Ich hab gesagt, gerne, aber nur unter der Bedingung, dass ich weiterhin in meiner Freizeit bei Projekten mitmachen kann. Das war das Grundarrangement, bei dem klar war, dass ich in den Arbeitsgruppen, denen ich angehöre, keine Funktion wie Finanzreferent oder KOA-Vertreter ausüben darf. Diese Möglichkeit ist mir später unter Leonie Baumann genommen worden. Sie ist 1991 gewählt worden, als Christiane Zieseke in die Kulturverwaltung gewechselt ist. Bis Anfang 1996 haben Leonie Baumann und ich vertrauensvoll und gut zusammengearbeitet, aber dann gab es bei NO!art Probleme. Insgesamt war die Geschäftsstelle eigentlich kollektiv und hierarchiearm aufgestellt. Das fand ich auch immer ganz wichtig, dass das in diesem Geist funktionierte, dass sich alle – mehr oder weniger – für das Ganze verantwortlich fühlen und auf das Image des Vereins nach außen achten. Der Anspruch war, dass wir alle miteinander auf Augenhöhe umgehen. Aber dann gab es immer mehr eine Aufteilung in „die da oben“ und „die da unten“ – unten waren die Subalternen, wie die Leute, die Aufbau oder Bewachung gemacht haben. Ich fand das sehr problematisch. Es entstand ein vergiftetes Klima der Intriganz, und viele haben die Geschäftsstelle verlassen. Die Erste, die ging, war Maria Wegner, die zusammen mit Leonie Baumann vom Kunst-am-Bau-Büro gekommen war. Das Arbeitsverhältnis zwischen Leonie Baumann und mir wurde für mich so problematisch, dass ich keine andere Möglichkeit mehr gesehen habe, als Ende 2004 zu kündigen. Insgesamt hat der Prozess der Abnabelung von der nGbK bei mir fast acht Jahre gedauert.
Die Ausstellung Achtung Sprengarbeiten! 2007 hatte etwas mit der breiten, auch im KOA und in den Hauptversammlungen von einem beachtlichen Teil der Mitgliedschaft geäußerten Kritik an den intransparenten Strukturen und dem autoritären Tonfall zu tun. Das Thema ist entstanden, weil wir gesagt haben, die nGbK müsse in einer Art produktiver Sprengung aufgeknackt werden. Ab 2008 habe ich mich aber nicht mehr als Mitglied verstanden und stellte die Beitragszahlung ein. Rückwirkend würde ich sagen, dass die nGbK als Verein und Institution meine Sympathie gehabt hat und auch immer noch hat. Ich finde den Verein wichtig, besonders als Feld des Ausprobierens und Lernens. Diese langwierigen Prozesse der Diskussion würde ich heute aber nicht mehr mitmachen, dafür hätte ich keine Geduld mehr.
ALW: Wie hast du die nGbK damals wahrgenommen?
MR: Der Charakter war früher noch anders, da gab es noch nicht so viele andere Institutionen. Es gab die zwei Kunstvereine und die klassischen, traditionellen Museen, jetzt gibt es ganz viele Institutionen, die ähnliche Themen aus einer kritischen und linken Position behandeln. Auch der n.b.k. hat sich unter Marius Babias wesentlich verändert. Inhaltlich sind sich beide Kunstvereine heute sehr nahe.
ALW: Aus heutiger Perspektive fällt es schwer, mir vorzustellen, dass die beiden aus einer Spaltung hervorgingen.
MR: Weil es keinen Kunstverein gab, hat der Kultursenat angeregt, einen zu gründen. Daraufhin ist 1965 die Deutsche Gesellschaft für Bildende Kunst (DGBK) entstanden. Das war eine Art Kalter-Krieg-Gründung, weil West-Berlin künstlich als kulturell vital gegenüber der DDR gelten sollte. Innerhalb dieser Gesellschaft gab es 1968/69 einen Teil der Mitgliedschaft, der mitbestimmen wollte. Dieser Teil gründete dann die links positionierte Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, während die restliche Mitgliedschaft der DGBK sich als traditionell bürgerlicher Neuer Berliner Kunstverein formierte. Allein schon die Bestimmung des Programms und die Produktionsprozesse waren bei der nGbK völlig anders. Während du auf der einen Seite das klassische Direktoren- und Kuratorensystem hast, gibt es auf der anderen das basisdemokratische System mit AGs, die die Rolle der kollektiven Produzenten übernehmen.
ALW: Wie nimmst du die nGbK heute wahr?
MR: Ich muss gestehen, dass mir einige der heutigen Ausstellungen vom Duktus und von der Sprache der Vermittlung her nicht mehr nahe sind. Das hat damit zu tun, dass der Diskurs weitergegangen ist, aber auch damit, dass mir das Programm insgesamt zu wenig divers ist. Ich glaube nicht, dass Einzelausstellungen wie zum Beispiel zu Unica Zürn, Boris Lurie, Blalla W. Hallmann heute überhaupt noch eine Chance hätten, und das finde ich schade.
ALW: Wobei das RealismusStudio vor ein paar Jahren eine Einzelausstellung zu Toni Schmale gemacht hat, die vielleicht vergleichbar wäre.
MR: Vielleicht. Ich finde aber die thematischen Ausstellungen manchmal unscharf in der Abgrenzung. Die Recherchen erscheinen oft oberflächlich und berücksichtigen manche Fragen und Phänomene der vordigitalen Zeit kaum. Die nGbK war immer ein Ort für Themenausstellungen oder kulturpolitische und -historische Rückschauen und Untersuchungen mit Publikationen, die bis heute Geltung beanspruchen können. So etwas ist mir in den letzten Jahren nicht aufgefallen. Außerdem wird manchmal so getan, als würden Themen wie Kolonialismus oder Rassismus jetzt zum ersten Mal in der nGbK behandelt, was wiederum mit der Ignoranz gegenüber der analogen Epoche zu tun hat.
ALW: Du hast dich schon früh mit diesen Themen beschäftigt …
MR: Ja, ich war in der Anti-Apartheid-Bewegung aktiv und habe dafür gekämpft, dass die kolonialen Namen im Wedding geändert werden. Heute hat sich mein Standpunkt geändert, und ich würde sagen: bewahren und kommentieren. Geschichte und die Erinnerung daran müssen verständlich bleiben und dürfen nicht einfach ausradiert oder ersetzt werden. Bei diesem Thema fällt mir ein, dass ich es schade und völlig falsch fand, dass die nGbK ihr signifikantes Logo mit dem markanten Stern auf Betreiben von Diedrich Diederichsen abgeschafft hat. Für mich war das ein Akt kultureller Geschichtsvergessenheit, ein über vierzig Jahre bekanntes und identifikatorisches Signet einfach über Bord zu werfen und durch ein Signet farbloser Unentschiedenheit auszutauschen.
ALW: Kannst du etwas über die Ausstellung 100 Jahre Einmischung erzählen, die sich kritisch mit der Kongokonferenz auseinandergesetzt hat?
MR: Die Ausstellung der nGbK fand 1984 in den Räumen der Berliner Festspiele im Bikinihaus statt. Sie wurde von einer Arbeitsgruppe um Hans Mayer, der mit Ruth Weiss zusammen das Buch Afrika den Europäern. Von der Berliner Kongokonferenz 1884 ins Afrika der neuen Kolonisation im Peter Hammer Verlag herausgegeben hat, organisiert. Publikation und Ausstellung werden heute leider nicht erinnert, sollten aber wiederentdeckt werden.
ALW: Unser Wissensspeicher-Projekt ist ja mit eben diesem Anspruch angetreten: Auf thematische Kontinuitäten hinzuweisen, das Archiv zu öffnen und in Teilen digital zur Verfügung zu stellen.
MR: Ja, das ist auch sehr gut, müsste aber noch weiter ausgebaut werden. Vielleicht ist es an der Zeit zu überlegen, ob man den Schwerpunkt ein bisschen verändern sollte – in eine andere thematische Ausrichtung oder Produktionsweise. Man könnte erneut Grundsatzfragen stellen und an Thematiken anknüpfen, die zu Beginn der nGbK eine wichtige Rolle spielten. Zum Beispiel die unter anderem von dem Mitbegründer der nGbK Dieter Ruckhaberle und dem Marxisten Wolfgang Fritz Haug im Jahr 1970 gestellte Frage nach den Funktionen bildender Kunst. Was besagt der immense Bedeutungsgewinn von Kunst und Museen in der neoliberalen und hyperkapitalistischen Gesellschaft?
ALW: Es wurde ja das Format der zweijährigen Rechercheprojekte eingeführt, das ist zum Beispiel eine Besonderheit.
MR: Früher entstanden viel mehr Projekte aus den Universitäten heraus. Die Universitäten sind heute so systemaffin und befriedet, da finden keine politischen Kämpfe mehr statt.
ALW: Ich würde sagen, das Problem liegt vor allem im Abbau des Mittelbaus, heute hat man keine Zeit mehr, neben der Arbeit an der Uni noch andere Projekte zu realisieren, weil man sich in den meisten Fällen seine Stelle selbst schaffen und finanzieren lassen muss. Wobei das Projekt Left Performance Histories 2018 in Kooperation mit einem universitären Netzwerk der FU entstanden ist.
MR: Okay, ja, aber die ganze Bologna-Reform hat das Studium verschult und setzt die Studierenden stark unter Druck. Hinzu kommt, dass es bis in die 1980er-Jahre eine starke Präsenz des Marxismus an der FU gab, mit den Lehrveranstaltungen zur Kritischen Psychologie und überhaupt dem Fachbereich 11: Philosophie und Sozialwissenschaften, der heute nicht mehr existiert. Die Ausstellung Inszenierung der Macht ist 1987 zum Beispiel mehr oder weniger aus der Universität heraus entstanden. Das war eine riesige Arbeitsgruppe.
ALW: Du hast von den harten ideologischen Auseinandersetzungen in der Anfangszeit gesprochen. Wie schaust du da heute drauf?
MR: Ich glaube, bei all diesen Kämpfen ging es diversen Akteur_innen auch um die Repräsentation der eigenen Person und das Erreichen einer bestimmten Machtposition. Das kann man nie ganz voneinander trennen. Da ist es wichtig, an kollektiven, hierarchiearmen Strukturen festzuhalten und alles auf den Prüfstand zu stellen.
ALW: Wie war die Wahrnehmung der nGbK zu der Zeit, als du dort aktiv warst?
MR: Die West-Berliner Kulturszene war damals noch recht übersichtlich. Was den Anspruch betraf, neue und kritische ästhetische Vermittlungsformen von Kunst auszuprobieren, vernachlässigte Künstler_innen auszugraben oder den politischen Inhalt von Kunst zu thematisieren, da gab es kaum Akteur_innen oder Institutionen. Da war das Kunstamt Kreuzberg mit seinem Raum im Bethanien [heute Kunstraum Kreuzberg] und das Haus am Waldsee, das Haus am Kleistpark, sowie das Künstlerhaus Bethanien. Die meisten Kunstämter waren beschaulich und bieder in der Kunstpräsentation. Da hatte die nGbK gute Chancen, als radikale Kunstinstitution respektiert zu werden. Das hat sich nach 1990 gewandelt, weil viele andere Vereine und Projekträume entstanden sind. Heute gibt es so viele Orte, die sich als links-kritisch verstehen, und ein riesiges Netzwerk, das im Grunde selbst beauftragt das macht, was Arbeitsgruppen in der nGbK umsetzen. Ich weiß von der älteren Generation, mit der ich noch im Austausch bin, dass ihnen die nGbK immer mehr aus den Augen gerät. Das hat zum einen etwas mit den neuen und überstrapazierten, vom Zeitgeist geprägten Fragen zu Diversität, Gender, Postkolonialismus, Critical Whiteness und zum anderen mit der Sprache der Vermittlung zu tun. Vielleicht wäre es an der Zeit, mal die Gefahren von Hyper-PC-Bestreben in der Linken im Kulturbereich zu untersuchen und aufzuzeigen, wo das Ganze in Cancel Culture und neue Zensur mündet?
Ich empfinde es zum Beispiel heute so, dass gegen alte, weiße Männer auf eine rassistische Art argumentiert wird. Natürlich gibt es strukturellen Rassismus, den es zu bekämpfen gilt, aber wenn der Aufstand dagegen so weit geht, dass die anderen mundtot gemacht werden, wird es reaktionär. Jede_r muss sich immer wieder selbst hinterfragen. Nur weil man in der Anti-Apartheid-Bewegung war oder sich gegen Rassismus einsetzt, ist man noch lange nicht davor gefeit, unbewusst Rassismen zu bedienen. Als ich jünger war, habe ich gedacht, ich bin Antifaschist und Marxist und damit auf der richtigen Seite. Ich bin einmal für die Ausstellung Das andere Amerika an einen jüdischen Bildhauer in New York herangetreten, von dem wir Arbeiten haben wollten. Als ich ihn traf, hat er mich zuerst gefragt, was ich über jüdische Kultur wüsste. Ich habe gesagt, na ja, nicht viel, aber ich sei Antifaschist etc. Wir haben keine einzige Leihgabe bekommen. Meine Antwort war viel zu selbstgefällig und naiv. Das war für mich so ein einschneidendes Erlebnis, das habe ich nie vergessen.
[Josefine Geier kommt nach Hause und wird von Matthias zum Gespräch gebeten.]
Das ist Josefine. Ich habe sie in der nGbK kennengelernt, wo sie von 1978 bis 1990 in der Geschäftsstelle tätig war. Wir haben ungefähr ab 1986 vier Jahre lang sehr gut und eng zusammengearbeitet – bis auf das Problem, dass wir die Arbeit mit nach Hause genommen und oft nachts bis um zwei Uhr irgendwelche Probleme gewälzt haben (lacht).
ALW: Josefine, wie bist du damals zur nGbK gekommen?
Josefine Geier: Ich habe für den n.b.k. gearbeitet, bis ich merkte, dass die mit Springer verbandelt waren und der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus Klaus-Rüdiger Landowsky dem Vorstand angehörte. Ich habe dann in der Zeitung eine kleine Chiffre-Anzeige gesehen, dass ein Kunstverein eine_n Mitarbeiter_in sucht. Das war die nGbK. Ich habe mich beworben, wurde eingeladen und habe den Job bekommen. Lange Jahre habe ich mich, wenn ich aus dem Urlaub zurückkam, auf die Arbeit und die Leute gefreut.
ALW: Hast du wie Matthias neben deiner Arbeit in der Geschäftsstelle auch Projekte realisiert?
JG: Ja, aber erst nach meinem Weggang. Es war ganz gut, mal die andere Seite zu sehen. Ich hatte als Mitarbeiterin oft im KOA gesessen und Protokoll geführt. Als ich dann für die AG Dorothy Iannone im KOA saß, war das ein interessanter Perspektivwechsel.
ALW: Wie hast du die Situation wahrgenommen, dass immer wieder neue Mitglieder in den Verein kamen, die von den Strukturen keine Ahnung hatten?
JG: Ich glaube, dass aus diesem Dilemma kein Verein rauskommt. Die meisten treten da ein, weil sie ihr Projekt realisieren wollen. Vielleicht haben sie die Satzung mal überflogen, aber wie der Laden funktioniert, weiß höchstens die/der KOA-Vertreter_in.
ALW: Wie nimmst du heute die nGbK im Gegensatz zu früher wahr?
JG: Ich bemerke, dass ich gar keine Lust mehr habe, mir Ausstellungen anzuschauen. Für mich sind da Fotokopien an die Wand gepinnt, provokant formuliert. Früher hing da echte Kunst. Das war sinnlich. Da war der Anspruch, den Menschen Kunst visuell nahezubringen und deren soziale und politische Funktion zu erklären.
MR: Aus linker Perspektive Geschichte aufzuarbeiten, dieses thematische Alleinstellungsmerkmal hat die nGbK verloren.
JG: Ja, selbst die Kunst-Werke haben Ausstellungen gezeigt, die eigentlich in die nGbK gehört hätten, wie zum Beispiel Verbrechen der Wehrmacht 2001. Der Ursprungsgedanke der nGbK war, nicht nur ein schönes oder grausames Bild aufzuhängen, sondern Kunst zu vermitteln. Das wird heute überall gemacht!
MR: Ich weiß noch, dass wir bewusst Nicht-Akademiker ansprechen wollten. Wir haben damals Gewerkschaftsgruppen durch die Ausstellungen geführt.
JG: Ich erinnere mich, dass über die Jahrzehnte x-mal im Gespräch war, die zwei Kunstvereine zusammenzulegen – gerade wenn es einen neuen Senat gab. Es hat die beiden gerettet, dass die nGbK aufgrund ihrer Struktur etwas Besonderes war, auch für CDU-Leute.
ALW: Ich möchte noch mal nach dem Verhältnis von Geschäftsstelle und Arbeitsgruppen fragen. Das scheint mir eine feine Balance zu erfordern – einerseits sind Verständnis und Interesse zentral für die Zusammenarbeit, andererseits sollen Interessenskonflikte verhindert werden, wenn man unterbindet, dass die Mitarbeiter_innen zugleich in Arbeitsgruppen aktiv sind.
MR: Ich finde es schön, wenn Leute, die in der Geschäftsstelle arbeiten, darüber hinaus auch ein originäres Interesse und eine Identifikation mit dem Verein haben. Wir haben uns als Kollektiv verstanden. Mit der Zeit haben sich aber doch ziemliche Unterschiede eingeschlichen. Es gab welche, die gesagt haben, siebzehn Uhr, jetzt ist Feierabend.
JG: Gleichzeitig kam es regelmäßig dazu, dass die Arbeit der Geschäftsstelle von Arbeitsgruppen infrage gestellt wurde: Muss die GS so groß sein? Wir leben von Honoraren oder machen das ehrenamtlich – und die sind angestellt und kriegen ihr festes Gehalt? Das hat sich als Mitarbeiterin der GS nicht gut angefühlt.
ALW: Ich kann mir vorstellen, dass man manchmal hin- und hergerissen war zwischen dem Anspruch, nach außen ein so professionelles Bild wie möglich abzugeben, und dem Wunsch, den solidarischen Strukturen innerhalb der GS sowie den kollektiven Arbeitsweisen der AGs gerecht zu werden.
MR: Ja. Der Grundgedanke war, dass die Arbeitsgruppen von der GS beratend betreut werden, aber die inhaltliche Arbeit selbst leisten müssen. Das war manchmal ein Problem und für mich, der zwischendurch für die Presse zuständig war, schwer auszuhalten, weil die Texte zum Teil recht dröge geschrieben waren. Es war immer ein Abwägen zwischen Unterstützung zur Selbsthilfe und dem Versuch, Strukturen zu etablieren, um den Verein am Laufen zu halten, wobei klar war, dass die AGs inhaltlich autonom sind.
Gespräch mit Christiane Zieseke am 12. November 2021 im Café Sibylle
Anna-Lena Wenzel: Ich habe im nGbK-Archiv gesehen, dass sich die erste Ausstellung, bei der du beteiligt warst, den italienischen Realisten gewidmet hat, das war 1974. Ist das der Zeitpunkt gewesen, an dem du in die nGbK eingetreten bist?
Christiane Zieseke: Nein. Die nGbK ist ja als politischer Kunstverein gegen den Neuen Berliner Kunstverein gegründet worden – oder besser gesagt, es war eine Spaltung. Aber auch innerhalb des Vereins kam es relativ schnell zu Kontroversen zwischen Stamokap und Maoist_innen, KBW und was es alles gab. Über die nGbK wusste ich Bescheid, aber die Auseinandersetzungen habe ich damals nicht so richtig durchblickt, ich war auch neu in der Stadt. Ich wurde in der TU auf dem Flur angesprochen und wegen der Abstimmungsschwierigkeiten angeworben. Das war so zwischen 1972 und 1973. Ich bin dann in die nGbK eingetreten. Man konnte sofort Mitglied werden und abstimmen. Das war durchaus problematisch, weil dadurch die Mehrheiten häufig ohne inhaltliche Diskussion wechselten. Aber man lernte viele politische Mechanismen, die mir später sehr geholfen haben, beispielsweise welche Rechtsformen welche Schwierigkeiten bergen. Dieser Verein war wirklich gewöhnungsbedürftig mit seinen inneren Debatten, die sich oft über Jahre hingezogen haben. Ich fand es schwer, damit umzugehen, und ich glaube, andere fanden das zunehmend auch.
Das Tolle aber war, dass die nGbK einen sehr guten Einstieg in den Kunstbetrieb geboten hat, den man sonst nicht so einfach bekam. Die nGbK eröffnete mir ein völlig neues Universum. Das fing bei ganz simplen Dingen an: Ich habe Kunstgeschichte studiert, aber in meinem ganzen Kunstgeschichtsstudium nicht ein einziges Bild angefasst, ich hatte keine Ahnung, wie das geht. Das konnte man in der nGbK lernen, weil man die Ausstellungen selbst gemacht hat. Man konnte sich hier ausprobieren. Durch die Kontakte, die man in den Kunstbetrieb bekam, konnte man da reinrutschen, und es gibt mehrere Leute, die später in wichtige Funktionen im Kunstbetrieb gekommen sind. Jedenfalls sind viele interessante Projekte entstanden mit Themen, die es damals überhaupt nicht gab, es waren völlig neue Felder und Informationen. Was heute Mainstream ist, hat oft in der nGbK seinen Anfang genommen. Die Offenheit für neue Inhalte war bemerkenswert. Die nGbK hatte teilweise ein hohes Ansehen, weil sie Themen aufgriff, die von den Institutionen nicht bearbeitet werden konnten, aus politischen Gründen oder weil das Wissen darüber fehlte. Die Ausstellungen zu den 1920er-Jahren zum Beispiel hatte in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz niemand auf dem Schirm.
ALW: Da fällt mir die Ausstellung Kampf um Sichtbarkeit in der Alten Nationalgalerie von vor ein paar Jahren ein. In der nGbK hatte sich schon 1986 eine Ausstellung mit dem Titel Das Verborgene Museum genau demselben Thema gewidmet und umfangreiche Recherchen zu Künstlerinnen in den Sammlungen vorgenommen.
CZ: Ja, auch das Thema Kolonialismus wurde schon früh verhandelt. Das müsste man mal bekannt machen. Viele glauben ja, man hätte sich damit noch nicht beschäftigt, aber das stimmt nicht. Es stimmt allerdings, dass sich bestimmte Leute nicht damit beschäftigt haben oder nicht wollten, dass man sich damit beschäftigt. Dasselbe betrifft auch die Nazi-Kontinuitäten. Ich habe vor Kurzem im Deutschen Historischen Museum die Ausstellung zur documenta besucht, die vermeintlich aufdeckt, dass Werner Haftmann[1] ein Nazi war. Ich war kein halbes Jahr in Berlin, da wusste ich das bereits. Ich wurde aber davor gewarnt, das öffentlich auszusprechen.
Ich muss wirklich sagen: Ich bin der nGbK insgesamt zu großem Dank verpflichtet! Allein schon, weil man über die nGbK eine Art Verdienstbescheinigung bekommen konnte, mit der man Vermieter_innen davon überzeugen konnte, ein Einkommen zu haben. Die Wohnungsnot in West-Berlin war ja schon in den 1970er-Jahren gigantisch. Da galt zwar Mietpreisbindung und die Wohnungen waren billig, aber ohne Bescheinigung hatte man keine Chance. Mit dem Schreiben der nGbK habe ich mehrere Wohnungen bekommen.
ALW: Du hast erwähnt, dass du in der nGbK Dinge gelernt hast, die man im Kulturbetrieb gut gebrauchen konnte. Was war das genau?
CZ: Wenn man im Kulturbereich arbeitet, ist man häufig sehr nah an der Politik, da muss man verstehen, was man wie kommuniziert und wie die Denke ist. So etwas konnte man in der nGbK ziemlich gut lernen, weil die Auseinandersetzungen so direkt waren. Die einzelnen Gruppen haben sich nur für sich selbst interessiert. Das ist ein Strukturproblem: Wer reinkommt, hat ein ganz bestimmtes Anliegen und will das da verwirklichen – egal wie. Und die Geschäftsstelle (GS) war damit beschäftigt, den Laden zusammenzuhalten, deswegen gab es die direkt gewählten Mitglieder im Koordinationsausschuss (KOA). Das Präsidium wurde nur bemüht, wenn es ganz existenzielle Konflikte gab oder wenn finanziell die Hütte brannte. Das Präsidium hatte eine Schutzfunktion. Das waren mehrheitlich bekannte Leute, deren Funktion es im Wesentlichen war, die nGbK politisch zu schützen.
ALW: Auch heute hat das Präsidium vor allem die Rolle der Vertretung der nGbK in der Politik.
CZ: Ja, das war immer so. Man brauchte Menschen, die ein bisschen besser im Auftreten waren und leichter mal etwas durchsetzen konnten.
ALW: Wenn du von Auseinandersetzungen sprichst – meinst du damit die Hauptversammlungen?
CZ: Ja, die waren teilweise furchtbar. Diese Auseinandersetzungen, bei denen es leider nicht um die Inhalte der Projekte ging, haben den ganzen Betrieb blockiert. Die Hauptversammlungen dauerten ewig lange.
ALW: Du bist 1987 Geschäftsführerin geworden, das heißt du hast die letzte Ausstellung, bei der du mitgemacht hast, das war 1990 zu Renate Herter, schon in deiner Funktion als Geschäftsführerin begleitet?
CZ: Ja, ich habe als Geschäftsführerin noch an Ausstellungsprojekten mitgearbeitet. Aber ich bin nirgendwo aufgetaucht. Das verträgt sich auch nicht. Bei den DDR-Projekten wie Zwischenspiele 1989 ging es gar nicht anders. Das wäre niemals gelaufen! Da brauchte es eine Person, die rechtsverbindlich unterschreiben konnte. Das waren ja offizielle Kontakte. Du hättest die Projekte sonst nicht machen können, die wollten nicht mit irgendeinem Arbeitsgruppenmitglied reden. Aber gerade diese Osteuropa- oder DDR-Projekte waren sehr spannend. Es gab zu der Zeit eine ständige Auseinandersetzung zwischen Ost und West darüber, ob West-Berlin Bestandteil der Bundesrepublik war oder nicht, und wie man dieses Gebilde bezeichnen darf. Die staatlichen Institutionen hatten deshalb große Probleme und durften nicht viel machen. Wir waren ein bisschen flexibler und konnten einiges bewegen.
ALW: Für mich ist es neu, dass Geschäftsführer_innen auch Projekte realisiert haben.
CZ: Das war auch vor meiner Zeit bei Projekten mit sozialistischen Ländern wie der DDR, Lettland oder der Sowjetunion so. Ich hätte das sonst auch nicht gemacht, weil ich meine, man sollte sich da raushalten, obwohl das manchmal schwer ist. Deshalb hätte ich den Job auch nicht allzu lange machen können. Irgendwann hat man den Eindruck, dass man den Arbeitsgruppen mal erzählen müsste, was gerade falsch läuft. Das ist blöd, die müssen ihre Erfahrungen selbst machen und ihre Ideen ausprobieren und brauchen niemanden, der ihnen sagt, wie es geht. Wenn man aber gar nicht inhaltlich arbeiten kann, kann man das eigentlich nicht ertragen.
ALW: Du warst dann bis 1991 Geschäftsführerin? Was kam dann?
CZ: Ulrich Roloff-Momin, der Präsident der UdK und der nGbK war, wurde zum Kultursenator gewählt. Als in der Kulturverwaltung die Stelle der Planungsreferentin frei wurde, hat er mich gefragt, ob ich das machen möchte. Das war interessant, weil man in dem Bereich sehr viel gestalten konnte.
ALW: Ich kann mir darunter erst mal nicht so viel vorstellen ...
CZ: Niemand konnte sich darunter etwas vorstellen, das war das Interessante an dem Job.
ALW: Bist du noch Mitglied in der nGbK?
CZ: Ja, das ist der einzige Verein, in dem ich geblieben bin. Aus allen anderen Vereinen bin ich ausgetreten, als ich in die Kulturverwaltung gegangen bin, weil es schnell Interessenkonflikte geben kann.
ALW: Beatrice E. Stammer hat von den Problemen gesprochen, die die feministischen Projekte hatten. Wie hast du das Verhältnis von Frauen und Männern in der nGbK wahrgenommen?
CZ: Och, es gab eben verschiedenste Gruppen. Die Feministinnen, die zu denen mit den politischen Interessen gehörten, hatten wirklich Probleme bei den anderen, weil gesagt wurde, das sei doch nur ein gesellschaftlicher Nebenwiderspruch und was das denn jetzt solle. Aber man konnte sich als Frau schon durchsetzen. Sagen wir mal so: Es war nicht so schlimm wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Ich war eine Zeit lang Kunst-am-Bau-Beauftragte für den bbk und hatte da in der Bauverwaltung zu tun, das war wirklich hammerhart. So etwas habe ich später nicht mehr erlebt. Natürlich waren in der nGbK auch Machos, die meinten, sie hätten hier das Sagen und die Frauen sollten die Arbeit machen. Das war so eine Erwartungshaltung. Aber Feminismus war nicht mein Schwerpunkt, ich habe mich für ganz unterschiedliche Dinge interessiert und viel zu Faschismus gearbeitet. Das waren immer gemischte Arbeitsgruppen. Ich glaube, es war für Männer auch nicht das Attraktivste von allem – wenn man Kustos in der Nationalgalerie werden kann, geht man nicht in die Arbeitsgruppe der nGbK. Deshalb war der Frauenanteil schon ziemlich groß.
ALW: Der Frauenanteil im schlecht bezahlten Kulturbereich ist weiterhin sehr hoch!
CZ: Meiner Meinung nach läuft das schon lange schief. Um Diversität zu fördern, muss man bei den Spitzen der Kulturinstitutionen anfangen, indem man zum Beispiel alle Leitungspositionen mit Frauen oder anderen marginalisierten Gruppen besetzt. Man muss bei den Opernhäusern anfangen! Wenn man eine Initiative von unten ist, hat man keine Chance. Es ist falsch, die Forderung nach Diversität nur an die Künstler_innenförderung zu koppeln, denn der freie Bereich ist immer derjenige, der am weitesten entwickelt ist.
ALW: Die nGbK ist durch die wechselnden Arbeitsgruppen ja eine sehr dynamische Institution, wie hast du das empfunden?
CZ: Es war ja beides in der nGbK vertreten: Es gab Konstanten, also Leute, die über viele Jahre dort gearbeitet haben – zum Teil auch, weil sie keine festen Jobs bekommen haben. Und es gab diejenigen, die neu dazukamen. Ich finde diese Mischung eigentlich ziemlich gut. Wenn man ein paar Leute hat, auf die man sich verlassen oder die man mal bitten kann, bei etwas zu helfen, ist das gut.
Anderen Leuten in der GS sind schon mal manche Arbeitsgruppen auf den Geist gegangen mit ihrer unglaublichen Anspruchshaltung. Sie wollten immer Full Service haben, aber standen dann zwei Tage vor Eröffnung nahe dem Nervenzusammenbruch ratlos herum und sagten, sie könnten jetzt nicht mehr (lacht). Ich fand des eher menschlich und habe ihnen gut zugeredet.
ALW: Du hattest da ja auch viel mehr Erfahrung.
CZ: Ja, deshalb war ich da relativ entspannt. In der Geschäftsführung siehst du rechtzeitig, wenn ein Projekt anfängt zu schleudern, dann kannst du versuchen, einen doppelten Boden einzuziehen oder irgendwas anderes zu machen.
ALW: Du hast vorhin von Auseinandersetzungen gesprochen, waren das vor allem inhaltliche Diskussionen?
CZ: Ehrlich gesagt waren die Auseinandersetzungen meist Scheinkonflikte, in Wirklichkeit ging es um Geld oder Konkurrenz und nicht um die Inhalte der Projekte, die wurden eher im KOA diskutiert. Dieser Mangel an inhaltlicher Diskussion war ständig in der Kritik, es änderte sich aber nichts, genauso wie das fünfköpfige Arbeitsgruppenprinzip immer wieder infrage gestellt, aber nicht modifiziert wurde. Es hatte einfach niemand eine andere funktionstüchtige Idee. Letztlich sind wir in den Strukturdiskussionen, die es immer wieder gab, dazu gekommen, dass man alles so aufrechterhält, wie es sich die Initiator_innen ausgedacht haben. In der Rückschau denke ich, dass es richtig war, bei dem Arbeitsgruppenmodell zu bleiben. Es ist zwar ein merkwürdiges Modell, das schlecht funktioniert, aber es ist dennoch innovativ. Es ist über so viele Jahre immerhin durchlässig gewesen. Es macht Veränderungen mit; Leute können Projekte realisieren, die sie sich ausgedacht haben und die sonst nirgendwo umsetzbar wären. Das ist ein großer Schatz, das muss man bewahren.
ALW: Die nGbK ist mit ihrer basisdemokratischen Struktur ja ziemlich solitär in Berlin. Ist sie auch so wahrgenommen worden?
CZ: Nein, eigentlich nicht. In der Kulturverwaltung wusste man nicht viel über die nGbK, da sie über Lotto-Mittel finanziert wurde. Das Einzige, was die Kulturverwaltung mit der Institution zu tun hatte: Sie musste Gutachten schreiben. Das wird sich ja jetzt ändern, wenn die nGbK in den Landeshaushalt überführt wird. Damals hat sich noch niemand für die Struktur von Kulturinstitutionen interessiert. In der Außenwahrnehmung war die nGbK sehr durcheinander (lacht). Was die Zuständigen bei Lotto eher bewegt hat war die Frage, ob die nGbK mit Geld umgehen könne und ob das sicher sei. Tatsächlich gab es einmal bei der 750-Jahr-Feier Berlins ein großes Finanzdefizit, da war die nGbK aber nicht alleine, keine Ahnung, wer das am Ende bezahlt hat.
Es ist wichtig, die Arbeitsweise der nGbK zu erklären. Das ist für viele oft nicht verständlich und von außen wohl nicht so richtig wahrnehmbar. Ich habe die Arbeitsstrukturen den Leuten, mit denen ich zu tun hatte, immer erklären müssen. Viele waren auch entsetzt über so viel Basisdemokratie (lacht). Es wird oft nicht erkannt, wie viel Arbeit da drinsteckt. Von außen sieht es aus wie ein Hühnerhaufen, es wird unterschätzt, wie professionell gearbeitet wird. Man muss schon sehr selbstbewusst auftreten und das vertreten.
Allgemein wird gerade diskutiert, wie wir in den Kulturinstitutionen von dem Intendanten-Modell wegkommen. Die nGbK verfügt diesbezüglich über eine der längsten Erfahrungen. Es ist gut zu wissen, wo die Fallstricke sind und wo es gut funktioniert. Wenn die Institution sehr viel größer wäre, ginge es nicht.
ALW: Kannst du etwas über die Staatliche Kunsthalle Berlin erzählen, mit der es viele Kooperationen und personelle Überscheidungen gab?
CZ: Das hing mit Dieter Ruckhaberle zusammen. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern der nGbK und wurde dann Leiter der Staatlichen Kunsthalle. Weil die Kunsthalle ziemlich groß war, hatte er relativ viel Platz, aber der Etat war zu niedrig, das Haus war nicht in der Lage mehrmals im Jahr große Ausstellungen zu machen, dafür hatten die nGbK und der nbk das Recht, dort einmal im Jahr eine Ausstellung durchzuführen. Das war bei der Errichtung der Kunsthalle so verankert worden, um eine Dominanz der Kunsthalle über andere Kunstinstitutionen zu vermeiden.Der Vorteil der staatlichen Institution lag darin, dass sie wertvolle Leihgaben bekommen hat, die Kunstvereine ohne geeignete Ausstellungsräume nicht bekommen hätten. Diese Faktoren haben zu häufigen Kooperationen geführt. Ich selbst habe dort mal ein Volontariat gemacht, das muss 1978/79 gewesen sein.
ALW: Wo war die Kunsthalle noch mal?
CZ: Im Bikinihaus in der Nähe vom Bahnhof Zoo.
ALW: Warum wurde sie geschlossen?
CZ: Weil nach der Wende in Berlin Kulturinstitutionen geschlossen werden mussten. Die Situation der Kulturpolitik damals war mehr als elend, was daran lag, dass der Haushalt von West-Berlin zu fünfzig Prozent vom Bund getragen wurde. Nach der Wende hat sich der Bund gesagt, jetzt ist Berlin wieder eine normale Stadt – damit war die Pleite angesagt. Es war absolut verheerend, denn gleichzeitig kamen diese riesigen Kulturinstitutionen aus Ost-Berlin, die teilweise in einem baulich grauenvollen Zustand waren. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion hat der Senat beschlossen, Kulturinstitutionen dichtzumachen. Ich war damals dem Stab in der Kulturverwaltung zugeordnet und wir hatten eine Diskussion darüber, dass man in Ost-Berlin keine Institutionen schließen darf. Wenn welche geschlossen werden, dann müssten es West-Berliner Institutionen sein, die nicht so richtig funktionierten. Zur Disposition standen das Schiller Theater und auch die Kunsthalle, weil es nicht alleine den Theaterbetrieb betreffen sollte. Das gab große Diskussionen.
ALW: Das war alles unter Roloff-Momin?
CZ: Ja, der musste das verantworten. Das hat ihn schier zerrissen, das war eine schreckliche Situation.
ALW: Warum wollte man keine DDR-Institutionen schließen?
CZ: Weil es in allen gesellschaftlichen Feldern so war, dass die Leistungen der Bürger_innen der ehemaligen DDR überhaupt nicht wahrgenommen, gering geschätzt wurden. Reihenweise wurden Institutionen ohne seriöse Prüfung abgewickelt. Wir haben das hautnah mitbekommen, weil wir ja auch lange DDR-Kontakte hatten, und haben gesagt: Das machen wir nicht mit!
ALW: Das ist interessant, weil die nGbK-Ausstellung … oder kann das weg? Fallstudien zur Nachwende ja genau dieses Phänomen in den Blick nimmt.
CZ: Mit ganz wenigen Ausnahmen sind die Leute, die Leitungsfunktionen hatten oder Professor_innen an einer Hochschule waren, im Abseits gelandet. Was sich da teilweise abgespielt hat, war katastrophal und ist meiner Meinung nach auch der Grund, weshalb es heute noch diese Spannungen gibt und so wenig Leute aus dem Osten in Führungspositionen sind.
ALW: War es sehr ungewöhnlich, dass ihr für die Ausstellung Zwischenspiele über die Grenze fahren konntet und einen Einblick bekommen habt?
CZ: Was die Tiefe angeht, ja. Verbindungen zum Künstlerverband der DDR, zum VBK, konnte man relativ leicht aufbauen, aber außer dem offiziellen Kulturbetrieb lernte man da nichts kennen. Das hat sich erst mit der Einladung über die evangelische Kirche geändert, die uns mit Christoph Tannert zusammengebracht hat. Das fanden wir natürlich superinteressant – und die DDR-Künstler_innen ebenfalls. In diesem Zusammenhang habe ich auch Thomas Flierl kennengelernt. Der war als West-Berlin-Beauftragter für uns zuständig und hat uns sehr geholfen. Ich erinnere mich, wie wir versucht haben, eine Fotoausstellung aus den Staatlichen Museen zu übernehmen, Schicksal einer Sammlung – Thema waren die Verluste zeitgenössischer Kunst in der Nazizeit. Es ging politisch über Monate nicht von der Stelle. Ich wusste, dass die Stiftung Preußischer Kulturbesitz [West] und die Staatlichen Museen [Ost] keinen Kontakt hatten und sich nicht austauschen durften. Aber aus meiner Sicht sprach nichts dagegen, dass die nGbK als nicht staatliche Organisation mit den DDR-Museen redet. Da ist Thomas Flierl mit mir zum Generaldirektor der Staatlichen Museen gegangen und hat gesagt, dass er erwartet, dass das Ding jetzt läuft, und dann ist es gelaufen. Er war absolut furchtlos, im Gegensatz zu vielen anderen. Zur Ausstellungseröffnung haben wir dann die Stiftung Preußischer Kulturbesitz eingeladen – und die sind tatsächlich gekommen, was sie sonst nie gemacht hätten! Dann haben wir die Herrschaften miteinander bekannt gemacht. Das war gut und gleichzeitig war es auch lächerlich, aber so ist Politik manchmal.
ALW: Beatrice E. Stammer spricht die schlechte Bezahlung an, die es für die Realisierung der Ausstellungen gab. Wie hast du das wahrgenommen?
CZ: Als ich anfing in der nGbK, habe ich erst gar nichts verdient, dann ein bisschen mehr, aber nie so viel, dass man davon leben konnte. Das war damals aber nicht so schlimm, weil West-Berlin relativ billig war. Als Geschäftsführerin einer kleinen Institution habe ich das gewöhnliche Gehalt bekommen. Aber für die Leute, die wie Beatrice E. Stammer hauptsächlich freiberuflich gearbeitet haben, war das schon schwer. Die Höhe der Honorare war Dauerthema.
ALW: Bist du noch im Kulturfeld aktiv?
CZ: Parteipolitisch mache ich praktisch nichts mehr. Das Drumherum geht mir zu sehr auf die Nerven. In anderen Zusammenhängen wie der Alten Münze oder dem Haus der Statistik bin ich noch mit dabei.
Ich habe auch eine Frage: Wird in der nGbK noch diskutiert? Ich finde es teilweise schon beängstigend, dass es nur so wenig Debatten über gesellschaftliche Themen gibt, aber so viele Verbote. Tabuisierung statt Auseinandersetzung – das ist für mich erschreckend. Bitte thematisiert das in der nGbK, sie wäre der richtige Ort dafür!
[1] Werner Haftmann war 1955, 1959 und 1964 Mitarbeiter der documenta. Von 1967 bis 1974 war er erster Direktor der Neuen Nationalgalerie in Berlin, die zur Stiftung Preußischer Kulturbesitz gehört.
Gespräch mit Jula Dech in ihrem Studio in Charlottenburg am 7. Dezember 2021
Mit Betreten des Studios steht man mittendrin im Kosmos der 1941 geborenen Künstlerin Jula Dech: Im Eingangsbereich hängen mehrere Plakate, die sie zum Teil selbst gestaltet und gedruckt hat – eines ist Honoré Daumier gewidmet und stammt von der ersten Ausstellung, die sie 1974 mit der nGbK realisiert hat. Daneben finden sich Plakate zu Hannah Höch und Käthe Kollwitz und eines, das die Abschaffung des Abtreibungsparagrafen 218 fordert. Jula Dech beginnt zu erzählen:
Jula Dech: Mein Studium spielte sich in den 1960er-Jahren ab, im Ambiente der Student_innenbewegung. Die hier hängenden Plakate von Honoré Daumier und Käthe Kollwitz weisen auf den wichtigen sozialkritischen Aspekt hin, der aus dieser Atmosphäre der Revolte in unser Studium der Kunst einkehrte, ja einbrach.
Auf dem Tisch, an den wir uns setzen, hat Jula Dech Dias ihrer Ausstellung Unbeachtete Produktionsformen (1982) bereitgelegt, ihren Aufsatz „Blinder Fleck – Die neue Gesell(en)schaft und die Frauenkunst“ aus der nGbK-Jubiläumspublikation 21 – was nun? (1990) aufgeschlagen, den Katalog zur Ausstellung Künstlerinnen international 1877–1977 und einen Kunstgeschichtsband zu Künstlerinnen ausgebreitet. Im Laufe des Gesprächs wird noch ihre Publikation zu Hannah Höch hinzukommen, die aus Anlass eines Kongresses zur Künstlerin 1991 veröffentlicht wurde.
Anna-Lena Wenzel: Jula, wie bist du Vereinsmitglied der nGbK geworden?
Jula Dech: Über meine Schwester Barbara. Sie hat an der nGbK in der Geschäftsstelle als Sekretärin unter Bernd Weyergraf gearbeitet. Das war noch, als ich in Stuttgart gelebt habe. Ich wurde sogar eines der frühen Mitglieder der eben gegründeten Vereinigung. Es waren die Kunst und die Politik gleichermaßen, die mich Anfang der 1970er-Jahre dann aus Stuttgart nach West-Berlin zogen.
ALW: Wie hast du die nGbK damals wahrgenommen?
JD: Die nGbK war angetreten mit dem Ziel, in die Gesellschaft zu wirken, und nicht, um Bilder auszustellen. Deswegen sind die Maler_innen auch in den n.b.k. gegangen. Mir kam das entgegen, denn ich wollte Plakate machen, nicht malen. In der nGbK kamen alle und alles zusammen: kritische Geister, Kritik an der Gesellschaft, kritische Auseinandersetzung mit der Kunst. Die nGbK war kein klassischer Kunstverein mit Mitgliedern, Jahresbeiträgen und Kurator_innen, die gegebenenfalls Künstler_innen als einer Ausstellung würdig auswählten. Vielmehr waren die meisten Mitglieder der nGbK selbst Künstler_innen, die gemeinsam ihren neuen, kritischen Blick auf Kunst und Gesellschaft öffentlich thematisieren wollten. Und wie viele von ihnen, war auch ich als Künstlerin zugleich geprägt vom Studium einer Kunstgeschichte, in der es erst noch zu suchen galt nach den vernachlässigten kritischen Maler_innen, vor allem nach den verkannten, ja unterdrückten Frauen unter ihnen. Das erste Projekt, an dem ich mitarbeitete, trug den offensiven Titel Honoré Daumier und die ungelösten Probleme der bürgerlichen Gesellschaft, das war im Jahr 1974. Zwei, drei Jahre beschäftigte sich unsere Arbeitsgruppe intensiv mit diesem Thema, bevor es dann – in der noblen Orangerie des Schlosses Charlottenburg – der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Dabei war es selbstverständlich, dass es für uns kein Geld gab.
ALW: Wie hast du dich da aktiv eingebracht?
JD: Die Arbeit in der Gruppe inspirierte mich zu einer genaueren Analyse insbesondere der grafischen Werke des engagierten Journalisten Daumier, die in einem Katalogbeitrag mit dem Titel „Die Herstellung von Freiheit durch Druck“ resultierte. Darüber hinaus aber ging es mir darum, die Wahrnehmungen des Publikums durch eigene Erfahrungen zu erweitern. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion transportierten wir eine schwere gusseiserne Lithografiepresse an den Ausstellungsort, wo wir dann interessierten Anwesenden diese schwierige Technik praktisch demonstrierten. Zu diesem Zweck habe ich mittels einer komplizierten Technik Grafiken von Daumier auf Lithografie-Steine übertragen, sodass die staunenden Besucher_innen sich gar selbst ihren „originalen“ Daumier drucken konnten. Klar, dass diese Ausstellung damals große öffentliche Resonanz erfuhr. Aber es war sehr viel Arbeit – wir haben sogar nachts gedruckt!
ALW: Grafische Techniken, insbesondere Radierung und Lithografie, werden im Allgemeinen ja eher der Tradition zugerechnet. Bei dir ist das Plakat jedoch ein politisches Medium?
JD: Es war 1968. Es gab jede Menge politische Aktivist_innen in den Hochschulen, Proteste gegen die Notstandsgesetze, gegen den Paragrafen 218, Demonstrationen gegen die Diktaturen in der Türkei, in Griechenland, im Iran. Ständig kamen Studierende in meine Werkstatt, die unter ihnen schon bald „Ohnesorg-Werkstatt“ hieß, um Plakate zu drucken. Und natürlich war dafür der Siebdruck die Technik.
ALW: Du warst auch Mitinitiatorin der Arbeitsgruppe zur Ausstellung § 218 – Bilder gegen ein K(l)assengesetz, die 1977 in der Galerie Franz Mehring stattfand und die vom Künstlerhaus Bethanien unterstützt wurde. Wie ist die Ausstellung zustande gekommen?
JD: Wir hatten, keineswegs nur Frauen, ein Netzwerk aufgebaut, das von der Schweiz bis nach Holland reichte. Künstler_innen aus West-Berlin und der BRD ebenso wie aus Nachbarländern schickten uns ihre gegen das Gesetz gerichteten Arbeiten. Damit entstand eine umfangreiche Ausstellung in der Kreuzberger Galerie Franz Mehring, deren außerordentlich engagierter Leiter Dieter Ruckhaberle uns half, das Projekt gegen alle heftigen ideologischen Attacken durchzusetzen. Ja, es wurde sogar eine Wanderausstellung daraus, die dann an vielen Orten in Westdeutschland zu sehen war.
ALW: Warst du auch im Koordinationsausschuss (KOA) der nGbK aktiv?
JD: Das war ein Zentrum der Diskussionen. Hier wurde nicht selten heftig gestritten um die „richtige“ Weltanschauung, die ja inzwischen längst auch in die Fänge von politischen (Splitter-)Gruppen geraten war. Diente alles der Entwicklung eigener kritischer Standpunkte und beflügelte meine Arbeit. Eine Zeit lang habe ich vor allem künstlerische Plakate produziert, die auch in vielen Publikationen erschienen sind.
ALW: Dann gab es da die letzte Ausstellung der nGbK, bei der du als Arbeitsgruppenmitglied aktiv warst, mit dem Titel Unbeachtete Produktionsformen, in Zusammenarbeit mit dem Künstlerhaus Bethanien. Worum ging es dabei?
JD: Es ging um die alltägliche Arbeit von Frauen, die von der männlichen, der patriarchalischen Gesellschaft traditionell gering geschätzt, übersehen, ja geleugnet wurde: Hausarbeit, Versorgung der Familie, Betreuung der Kinder … Und natürlich ging es auch um die untergeordnete Rolle, die den Frauen dabei zugewiesen wurde. Vergessen wir nicht, dass Ehefrauen in der BRD bis Ende der 1950er-Jahre zu Haushaltsarbeit gesetzlich verpflichtet waren, außerhäusliche Erwerbsarbeit nur mit Genehmigung ihres Gatten annehmen und sogar ein eigenes Konto nur mit seiner Unterschrift eröffnen durften. Mittelalter – nicht lange her.
ALW: Und wo fand diese Ausstellung statt?
JD: Im Künstlerhaus Bethanien, einem bekannten Veranstaltungsort der sogenannten Szene. Linke Aktivist_innen hatten das ehemalige Kreuzberger Krankenhaus, das 1974 für Renditeobjekte abgerissen werden sollte, über Nacht besetzt und durch nachhaltigen Widerstand gerettet. Schließlich wurde in Verhandlungen mit dem Senat die Umwidmung in ein Kulturzentrum, unter anderem mit einer Druckwerkstatt, erwirkt.
ALW: Beatrice E. Stammer hat erzählt, wie schwer es zum Teil war, auf den Hauptversammlungen Projekte durchzusetzen, die einen feministischen Schwerpunkt hatten. Wie war es bei Unbeachtete Produktionsformen?
JD: Es gab heftige Auseinandersetzungen in der Hauptversammlung, weil die Herren – vorwiegend linke, kritische Männer – so etwas für überflüssig hielten! Wir Frauen aber haben das Projekt durchgesetzt.
ALW: Und was war in der Ausstellung zu sehen?
JD: Das lässt sich am Beispiel meiner Arbeit zeigen, die sich aus einer dreiteiligen Installation mit dem Titel Gewalt und Widerstand zusammensetzt. Ich hatte da einen Kinderlaufstall, eine Badewanne und ein traditionelles Ehebett aufgebaut. Wobei das Bett für krude patriarchale Vorstellungen von der Ehe stand, die Badewanne für die tief verankerten Zwangsnormen von Sauberkeit und – Assoziation zur Nazizeit – Säuberungen, der Laufstall natürlich für die übliche erziehungsmäßige Zurichtung von Kindern. Auf diese heilige deutsche Trinität ließ sich dann, unter anderem mit Kommentaren und Aktionen, das familiäre Rollenbild projizieren, und die widersprüchliche Haltung von Frauen zwischen Mitmachen und Aufsässigkeit konnte ausgetragen werden. Eine Pointe bestand übrigens darin, dass der Leihgeber des Bettes – wie wir später erfuhren, ein ehemaliger Nazi-Richter – dieses erbost zurückforderte, als er bei einem Ausstellungsbesuch zwei junge Frauen sich in „seinem“ Bett „wälzen“ sah.
ALW: Ich erinnere mich an Fotos der Eröffnung, bei denen ihr Kisten ausgepackt habt, die euch Frauen aus Europa und Amerika geschickt haben?
JD: Ja, das Projekt war von Anfang an international ausgelegt – mit Kontakten nach Frankreich, Holland, in die USA oder Mexiko. Schon bald bekamen wir zahllose Briefe von dort zugeschickt, ganze Kisten mit künstlerischen Objekten. Ich hatte auch selbst erschütternde Fotos von Grabsteinen aus einem zufällig entdeckten toskanischen Dorf mitgebracht, die unsere NS-Vergangenheit betrafen. Da hatte die Wehrmacht 1944 alle 150 Einwohner_innen ermordet, vom Kind bis zum Greis, um sich für einen Angriff von Partisan_innen zu rächen. Diese Bilder wurden als Dias zum Bestandteil der Ausstellung.
ALW: Von den Honoraren, die man bei der nGbK bekommen hat, konnte man schwerlich leben. Wie hast du dich finanziert?
JD: Ich war viel zu Vorträgen und Veranstaltungen unterwegs, zeitweise auch als reisende Lehrbeauftragte an mehreren Orten zugleich: neben der Berliner Tätigkeit an der Pädagogischen Hochschule, die sich dann auch auf die FU erstreckte, in Braunschweig, Hamburg oder Trier. Mal ging es um Fotografie oder Siebdruck, zunehmend dann aber vor allem um die bis dahin unbekannte Frauen-Kunstgeschichte. Dass ich nebenbei diese und jene „Jobs“ annehmen musste – etwa die Betreuung von Künstlerinnen in einem Altenheim –, hat mir auch nicht geschadet.
ALW: Wie ging es für dich dann weiter, mit der eigenen Kunst, der Lehre, anderen Aktivitäten?
JD: In den 1980er-Jahren gingen viele der zuvor spontanen und vorübergehenden Projekte in „ordentlichere“ Formen über – vielleicht das, was Rudi Dutschke einmal als Ziel des „Marschs durch die Institutionen“ ausgegeben hatte. Ich bewarb mich 1986 erfolgreich auf eine Stelle in der vom Senat getragenen Kulturpädagogischen Arbeitsstelle – inzwischen in Institut für Kunst im Kontext umbenannt. Zunächst auf Berliner Künstler_innen beschränkt, zog das Angebot zur Weiterbildung schon bald eine internationale Klientel an. Im Zentrum ging es darum, was man oder frau mit Kunst alles machen könne, über das eigene Produzieren in der Zurückgezogenheit eines Ateliers hinaus: Arbeit mit Kindern, alten Menschen, Migrant_innen oder sogenannten Randgruppen, therapeutische oder biografische Arbeit und so weiter.
ALW: Du hast dich zugleich sehr intensiv mit Hannah Höch beschäftigt …
JD: Ja, über die lange Zeit vergessene Dadaistin habe ich viel publiziert. Im November 1989, just in der Phase der Maueröffnung, organisierte ich mit unseren Studierenden ein dreitägiges Symposium in der Akademie der Künste, das nur ihr und ihrem Werk gewidmet war. Dazu kamen Referentinnen aus aller Welt angereist. Das ist alles nachzulesen und anzuschauen in unserer umfangreichen Kongress-Dokumentation Da-da-Zwischenreden. Ich glaube, ich darf aufgrund der Resonanz sagen, dass diese Arbeit die Sicht auf die Kunst von Frauen maßgeblich verändert hat. Und die damals entstandene Buchreihe Der andere Blick – Frauenstudien in Wissenschaft und Kunst zeigt mit ihrer Förderung durch den Berliner Senat an, wie allmählich auch in der Politik ein Umdenken im Hinblick auf die Frauenforschung einzusetzen begann. Aber natürlich bleibt bis heute immer noch viel zu tun.
ALW: Was hast du in der nGbK gelernt?
JD: Sehr positiv war für mich an der nGbK, dass sie eine neue Sicht auf Kunst gebracht hat. Es ging darum, die Kunst zu den Menschen zu bringen. Wir haben viel zusammen gelernt, vor allem, Tabus zu hinterfragen.
ALW: Bist du noch Mitglied der nGbK?
JD: Ja, weil ich sie von der Idee her immer noch gut finde.